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Reisebericht Kilimanjaro 2017

Im Landeanflug war er stets in dicken Nebel gehüllt, auch auf der Fahrt vom Kilimanjaro International Airport nach Moshi wusste ich nur aufgrund der Tatsache, dass wir nach Osten fuhren, dass der Berg linkerhand sein muss. Angekommen in unserem Hotel Parkview Inn, dauerte es gar nicht lange und dann klingelte das Telefon. Am anderen Ende der Leitung war Mathew, unser Guide für die kommende Woche. Eine Stunde später stand er wie abgemacht in der Lobby, ich ging hinunter, mein Vater ruhte sich noch weiter aus. Das gehe nicht, meinte der etwas schlitzohrig dreinblickende Mathew, er wolle Papa auch sehen. Kurz darauf sassen wir ihm als auf dem tief eingesunkenen Sofa in der Lobby gegenüber und er zeigte uns anhand seiner Faltkarte, was uns bevor steht. Er machte einen sehr professionellen Eindruck und zeigte uns auf, dass nicht nur Papa, sondern auch ich Stöcke zur Hilfe nehmen solle, welche seine Agentur gegen eine kleine Gebühr vermietet. Abends stieg ich, nach einer kleinen Rundtour durch die Stadt, noch auf die Dachterrasse unseres Hotels und – siehe da – der Hut hatte sich gelichtet und Ihre schneebedeckte Majestät stand da. Ganz ruhig, nur der Muezzin aus der nahen Moschee war zu hören, obwohl in meinem Blickfeld, neben Häusern der Stadt, nur eine Kirche war.

Am nächsten Tag stand er also um 09:00 Uhr (resp. ein paar afrikanische Minuten später) wieder in der Lobby. Sein Grinsen war noch breiter, aus seinem Gesicht war Freude zu lesen. Bei uns war wohl eher etwas leise Zurückhaltung, wenn auch ungewisse Vorfreude zu vernehmen. Mit im Fahrzeug waren insgesamt neun Leute neben uns, die alle ihren Anteil leisten, damit wir während einer Woche ein wunderbares Trekking erleben dürfen. Es waren neben dem Guide sowie Assistant Guide auch noch Koch und viele Träger dabei. Wir hatten nun rund drei Stunden Fahrzeit vor uns, bevor wir durch das Londorossi Gate in den Kilimanjaro National Park gelangen. Es gibt einige andere Gates noch, jedoch wählten wir bewusst die Lemosho Route, wodurch sich unser Startpunkt ergab. Nachdem wir registriert und unser Gepäck und Material fein säuberlich gewogen war, ging es für uns im strömenden Regen fortan bergauf. Der erste Trekkingtag war geprägt von tropischer Regenwald-Umgebung, die ihrem Name alle Ehre machte. Obwohl wir früher als der Rest unseres Team losmarschiert waren, war bereits alles aufgebaut und vorbereitet, als wir im sogenannten Big Tree Camp ankamen. Abends hatte sich der Regen etwas gemildert, es war teils sogar etwas sonnig. Einzig die spät ankommenden lauten amerikanischen Trekker störten unsere erste Nacht im Zelt.

Nach dem Frühstück und dem obligaten „water for washing“ starteten wir als eines der ersten Teams auf die ziemlich lange Etappe zum Shira 2 Camp. Auf den ersten hundert Höhenmetern lichtete sich der Regenwald bereits langsam und wir erreichten eine Art Hochheidelandschaft. Diese charakterisiert sich durch zum Teil mannshohe Büsche, immer wieder durchdrungen von herrlichen Ausblicken zum Mount Meru sowie auch alpine Blumenwiesen, je höher wir stiegen. Die Wanderwege waren stets kaum breiter als Mensch mit Gepäck, dennoch drängten sich rennende Träger im Minutentakt an uns vorbei. Es ging oftmals hoch, in steilen Serpentinen, jedoch auch wieder ein paar hundert Meter hinunter – und jeder „verlorene“ Meter schmerzte. Unsere Mittagsrast machten wir im Shira 1 Camp. Für viele ein Nachtlager, für uns jedoch (da wir die Tour in 7 Tagen zu machen planten), nur Rastplatz. Weiter ging es, relativ eben, aber in mittlerweile recht kühler Umgebung, weiter Richtung Shira 2 Camp. Dieses aus der Ferne zu erkennen, ist Fluch und Segen zugleich. Zwar hat man ein Ziel vor Augen, jedoch will dieses Ziel zum Teil stundenlang einfach nicht näher kommen…

Wiederum war für uns um 07:00 Uhr Tagwache, wobei wir wie üblich bereits früher wach waren. So stieg ich dieses Morgens freudig aus dem mit einer dünnen Eisschicht überzogenen Zelt, setzte meine Sonnenbrille auf und dreht mich um. Ich musste, vor Ehrfurcht und Schönheit dieses Anblicks ein paar Schritte zurückgehen. „Papi, das musst du dir ansehen!“. Und als er neben mir stand, sahen wir uns das Ziel gemeinsame an. Hoch oben, schneebedeckt, jedoch wolkenlos und irgendwie erreichbar, so schien es. Nach dem morgendlichen Ritual ging es vorbei an Zelten und transportierbaren Toitoi-WCs auf die Route in Richtung Barraco Camp. Der Aufstieg war steil und anstrengend. Wir wussten, dass heute ein entscheidender Tag bevorstand. Es ging via Lava Tower, einer massiven Gesteinssäule auf über 4650 m.ü.M., das erste Mal in richtig ungewohnte Höhen. Mein Vater spürte an diesem Tag die Anstrengungen der letzten Tage und wir entschieden, ebendiesen Lava Tower etwas zu umgehen und direkt Richtung Barranco Camp abzusteigen. Das stetige auf und ab, tageweise über 1000 Höhenmeter, ist zwar gut für die Akklimatisation des Körpers, mental aber eine richtige Herausforderung. Bei schwindender Kraft und leiser Zweifel, vielleicht doch nicht gemacht zu sein, um auf so hohe Berge zu steigen, erkundigten wir uns das erste Mal, welche direkten Abstiegsmöglichkeiten es gäbe, sofern einer von beiden nicht mehr kann.

Die Nacht war gut und die Motivation war wieder verstärkt zu spüren, auch wenn als erstes Teilstück gleich eine mehrere hundert Meter hohe Felswand bezwungen werden musste. Da sich der Einstieg in die Wand als Nadelöhr aller Bergsteiger herausstellte, ergaben sich beim Klettern einige Warteminuten, bis die schmalen Durchgänge frei waren. Dies war angenehm und gab Selbstvertrauen und Kraft. Über die Wand hinaus war die Route bis zum Karanga Camp weitgehend eben – dachten wir zuerst. Eine tiefe Schlucht lag noch zwischen uns und dem nächsten Ziel. Dort angekommen, war erst mal Mittagessen angesagt. Die Etappen wurden bis zum Basislager (welches wir am folgenden Tag erreichen sollten) streckenmässig kürzer. So konnten wir uns auch nachmittags ein paar Stunden ausruhen oder lesen. Die Stimmung resp. Zuversicht war wieder da und wir waren guten Mutes, nun zum Barafu Camp auf fast 4700 m.ü.M. aufzusteigen.

Nach einem weiteren, atemberaubend schönen Anblick nach dem Aufstehen, nahmen wir die letzten Stunden bis zum Basislager unter die Füsse. Morgens war der Gipfel stets wolkenlos und der Tag schien wunderschön zu werden. Jedoch zogen auch an diesem Tag wieder dicker Nebel, gefolgt von ein paar Regentropfen um unsere mittlerweile doch recht müden Glieder hoch. Es war kalt und die Landschaft war längst wüstenähnlich. Sehr karge, sandige Täler durchquerten wir, hatten jedoch noch immer keinen Schnee berührt. Im Barafu Camp angekommen haben wir das obligate Bild vor der Tafel mit dem Namen des Camps und dessen Höhenangabe geschossen und wurden, ebenfalls langsam routinemässig, vom Guide über das weitere Vorgehen informiert. Heute war die Anspannung allerdings höher, alle wussten was bevorsteht. Es gab bereits vor 17:00 Uhr Abendessen, denn danach war Ruhe angesagt. Die Etappe, die über das Erreichen des Gipfels entscheidet, startete noch am selben Tag, abends um 23:00 Uhr.

Nach einer kurzen Nacht, wenn man den paar Minuten schlafen so sagen kann, starteten wir warm eingepackt und mit Stirnlampen an der Stirn zur Mission Gipfel. Wir stapften Serpentine um Serpentine durch den steinig-sandigen Schnee, stetig steil nach oben. Mich plagten neben der Mündigkeit immer mehr auch Blähungen, meinen Vater seine kälter werdenden Hände und Finger. Alle halbe Stunde machten wir, windgeschützt eine kleine Pause. Ich konnte mich erleichtern, mein Vater seine Finger vorübergehend wieder wärmen. Es war eine sternenklare und dementsprechend kalte Nacht. Ich fühlte circa -20 Grad Celsius an meinem Gesicht vorbeipeitschen. Und zum Schnee im Gesicht, kam die Erschöpfung und Atemlosigkeit. Wenn ich den Kopf hob und dort hin sah, wo ich den Gipfel vermutete, sah ich (oder stellte es mir vor) den durch die Sterne und den Mond angeleuchteten Uhuru Peak, der höchste Punkt des afrikanischen Kontinents. Es war mittlerweile halb 5 Uhr morgens und wir waren auf 5500 m.ü.M. angekommen, als wir wiederum eine kleine Pause einlegten. Meine Blähungen waren etwas abgeklungen, die Gefühlslosigkeit in den Fingerspitzen meines Vaters hielt an. Obwohl wir gekämpft und gelitten haben, war dies der Punkt, an der wir umdrehten. Zu hoch war das Risiko, dass die Gliedmassen erfrieren könnten. Der Guide, der sich immer wieder nach uns erkundigt hat, wollte uns zwar weiter hoch bringen, wir bestanden jedoch darauf, nun auf dem schnellsten Weg zurück ins Camp zu gehen. Schweren Herzens, mit Wehmut, Trauer und Angst, gingen wir ein paar Meter vom Weg entfernt in ein schmales Seitental und fortan rutschten wir im Eiltempo im losen Sand der Schwerkraft entsprechend nach unten. Es war ein Gefühl der Schwerelosigkeit, der Furcht vor der Natur und – im Anblick des werdenden Morgens über der sternenklaren Nacht – der Vollkommenheit. Mit diesem Moment war klar, dass wir den Gipfel nicht erreichen werden. Und als bei einer kurzen Pause und nach der Rücksprache mit meinem Vater auch die Finger wieder etwas Gefühl erahnen liessen, war der Stolz über das Geschaffte grösser, als die Enttäuschung über das nicht Geschaffte.

Nach etwa zwei Stunden Schlaf war wieder Tagwache, gefühlt das zweite Mal an diesem Tag. Und eine sehr spezielle, nach einer sehr aufwühlenden Nacht. Für mich war allerdings auf dem direkten Weg zum letzten Camp, Mweka auf 3100 m.ü.M., klar, dass wir zusammen ein wunderschönes Trekking erleben durften, eine tolle Zeit genossen haben und unsere eignen Grenzen in der freien Natur haben spüren dürfen. Das Leben bringt herausfordernde Tage mit sich. Diese gilt es für sich selbst bestmöglich zu gestalten, zu erleben und für sich in Erinnerung zu behalten. Wir haben 5500m geschafft, und nicht 300m nicht geschafft! Mit diesem Gefühl haben wir bereits am Abend dieses zweitletzten Tages die Trinkgelder des Team verkündet, bevor wir ein letztes Mal von unserem liebenswürdigen Kellner-Träger bedient wurden und in unserem Zelt schlafen gingen.

Es folgten nochmals ein paar Stunden Abstieg, zum Teil über glitschige Steine und unwegsames Gelände, bis wir wieder den Regenwald erreichten. An einer unscheinbaren Stelle hielt unser Guide an, zeigte mit dem Finger nach hinten und schwieg. Durch eine Lichtung im Wald hatten wir freien Blick auf den Gipfel des Kilimanjaro. Da stand er wieder. Oder immer noch. Wolkenlos, mächtig und schön. Wir machten eine letztes Foto und genossen den letzten Anblick, bevor wir kurz darauf den Nationalpark verliessen und zum Hotel zurückgefahren wurden.

Es war ein seltsames Wiedersehen mit dem Hotel. Das Abenteuer war vorbei. Unser Guide nach dem letzten gemeinsamen Mittagessen, zu welchem er uns einlud, Geschichte. Wir legten unsere Sachen zum Trocknen aus, duschten ein erstes Mal wieder gründlich machten uns beide daran, die vergangene Woche zu verarbeiten. Beide auf ihre eigene Weise.

Übrigens, gereist sind wir mit Ethiopian Airlines, mit Stopp in Frankfurt und Addis Ababa. Dies ist zwar etwas umständlicher als eine Verbindung mit nur einmal umsteigen, aber es war preiswert und die Flüge insgesamt ok. Der Tour Operator vor Ort hiess Mauly Tours, ein Angebot von Let’s Go Tours in Schaffhausen, gebucht bei Berger Reisen in Basel.

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