obinatravel

Reisebericht Jinka und die Völker im Süden 2014

Jinka ist nun wirklich ziemlich am A**** der Welt. Und es ist der Ort, wo jeder Ausflug zu den traditionellen, ethnischen Volksgruppen startet. Nicht umsonst heisst es, der Norden Äthiopiens ist Geschichte, der Süden ist Kultur. Als ging ich mit meinen drei Kollegen zur local guide association, um einen Ausflug zu den Mursi (dasjenige Volk, das im Mago Nationalpark lebt und bekannt ist, da sich Frauen grosse Platten in die Unterlippe setzen) zu organisieren. Da es ich dieser Region schlicht keinen öffentlichen Verkehr gibt, ist ein Fahrzeug zu mieten die einzige Möglichkeit, um an sein Ziel zu gelangen. Deshalb macht es Sinn, dass man sich zusammen tut, um die Kosten zu teilen.
Als wir am nächsten Morgen früh aufbrachen, waren zwei weitere Israeli im selben Hotel, die bereits in Arba Minch mit uns waren und wir konnten uns schliesslich alle ins Auto quetschen und etwas günstiger fahren. Apropos fahren, nach ca. 5 Minuten Fahrt ging bei unserem Auto gar nichts mehr und wir mussten rund zwei Stunden auf Ersatz warten. This is africa…
Als wir dann aber wirklich in dem Dorf ankamen, hat sich die Mühe gelohnt, denn dieses Volk lebt wirklich völlig unabhängig mitten im Nationalpark, fernab von jeglicher «Zivilisation». Die Grossfamilien bauen eine Hag aus Ästen um ihre Lehmhütten und betreiben Viehzucht. Mehr ist da nicht. Selbstverständlich gab es viel zu sehen und noch mehr zu bestaunen, aber diese Leute haben rein gar nichts materielles aus unserer Welt. Schnell kam bei mir die Frage auf, ob es gut ist, die Leute zu besuchen und ihr «zurückgebliebenes» (eben die Frage, ob ich dass überhaupt zurückgeblieben nenne darf) zu stören. Eine Petflasche ist für sie aber ebenso speziell wie ein Reissverschluss an der Jacke. Sie gewöhnen sich jedoch immer mehr an die Dinge, die für uns selbstverständlich sind. Das grösste Dilemma ist aber das Fotografieren. Fremde Leute einfach so abzulichten, ist so oder so unhöflich. Obschon die Mursi weder mit Fotos noch mit Fotoapparaten viel anfangen können, haben sie im Verlauf der Zeit gelernt, dass Touristen bereit sind, etwas im Tausch gegen ein Foto zu geben. Vor einiger Zeit, so erzählte man uns, haben die Mursi kleine Geldscheine an die Wände ihrer Hütten befestigt, weil sie schlicht nicht wussten, was sie mit Geld anfangen sollen. Alles was sie brauchen ist Vieh, Platz und ihre eigene Gesellschaft. Heutzutage erwarten sie zwar ein kleines Entgelt für ein Bild, sie haben aber (auch im Verlauf des Klimawandels, der es für sie zum Teil erschwert, genügend Nahrung anzubauen) realisiert, dass sie zum Markt laufen und mit Geld das Nötigste kaufen können. Dies ist die einzige Einnahmequelle für sie, um eben notfalls etwas zu kaufen. Das ist der Wandel der Zeit… Um diese Überlegungen aber weiter auszuführen, ist hier in diesem Bericht nicht genügend Platz und ich weiss auch keine definitive Antwort auf die Frage, ob man solche Menschen besuchen und bezahlen soll. Auf jeden Fall war es aber ein Erlebnis, das auch durch die Erklärungen des Guides toll war. Mehr Infos dazu gibt es auch auf www.sharethecustom.com. Das ist die Webseite unseres Guides Berekat, der auch im Lonely Planet erwähnt ist und seine Tour sehr gewissenhaft und kompetent leitete.
Neben den Mursi leben noch viele weitere Volksgruppen in dieser Region des Lower Omo Valley an der Grenze zu Kenia. So zum Beispiel die Ari, die Banna, die Tsemay, die Karo, die Hamer – um nur einige wenige zu nennen. Weiderum stellte sich für mich die Frage, wo und wie ich welche Völker besuche. Schnell hat sich herausgestellt, dass die anderen, die bei den Mursi dabei waren, sich eine weitere Tour nicht leisten wollen. Darüber war ich gar nicht so unerfreut, sind die mir doch langsam etwas auf die Nerven gegeangen. Aber alleine gehen heisst, Motorrad statt Auto. Und weil ich einen Fahrer gefunden habe, der auch Guide ist, habe ich ihn gefragt ob er mit mir zwei Tage umherfährt und Märkte und Dörfer besucht. Logischerweise hat er ja gesagt. Und weil er in mir einen guten Kunden sah, hat er mich auch gerade noch zum Essen und Übernachten zu sich heim eingeladen. Nicht ganz so früh wie am Vortag (wir mussten noch den einen oder anderen tej (honey wine) verdauen) sind wir in Richtung Kef Afar losgefahren. Da besonders donnerstags (es war Donnerstag!) grosser Markttag ist in Key Afar, haben wir dort einen sehr farbenfrohen und (für meine Begriffe) urtümlichen Markt erlebt. Weiter ging es in ein Dorf, dessen Namen ich nicht weiss, jedoch deren Bewohner so schnell nicht vergessen werde. Der ethnischen Gruppe der Hamer zugehörig, wohnen dort rund 800 Leute in Grossfamilien auf einer Fläche, die bei uns eine mittelgrosse Stadt wäre. Da aber jede Familie viel Land für Vieh und Anbau von Getreide benötigt, sind die Hütten sehr verzettelt in der Landschaft angesiedelt. Eine wunderbar gastfreundliche Familie hat uns empfangen (d.h. zuerst waren nur die Kinder zu Hause, da die Eltern noch rund dreieinhalb Stunden vom Markt heimlaufen mussten). Einer der Jungs nahm uns mit auf einen Spaziergang (Trekking, kleine Wanderung, wie auch immer) und ich durfte wiederum sehr aufgeschlossene Hirtenknaben treffen, mit denen ich zwar nicht sprechen konnte, die dedoch durch ihr Lachen viel positive Lebensfreude ausstrahlten. Als wir zurückkehrten zur Hütte (eine Konstruktion aus Holz und Lehm – mehr nicht) konnte ich gleich auch noch die Geburt einer kleinen Ziege miterleben. Für die Familie ist dies zwar nichts Spezielles, dennoch ist es für sie extrem wichtig, dass sich ihr Vieh fortpflanzt. Denn ihre Ziegen und ihre Rinder sind alles, was sie in ihrem Portfolio haben. Falls sie einmal mehr Mais bräuchten als sie selbst herstellen, können sie eine der Ziegen auf dem Markt verkaufen und das Geld in etwas investieren, was ihnen zur Zeit fehlt. Die Nacht verbrachten wir (das heisst der Guide und ich) am Boden, auf Rinderhäuten, dicht an dicht mit der Familie. Und weil sogar noch die Grossmutter zu Besuch war, wurde mir auch nicht kalt (7 Personen aus der Familie + Guide + Grossmutter + ich = 10 Leute).
Am nächsten Tag sind wir weiter gefahren, und zwar ins Gebiet der Tsemay. Auch da wurde mir deutlich vor Augen geführt, mit welch einfachen Mitteln die Leute hier leben. Wasser holen heisst zum Teil über 20km pro Tag gehen und die schweren Kanister dann zurück schleppen. Hier ist es aber – im Vergleich zu dem Ort wo wir übernachteten – nicht so kalt, und deshalb sind die Hütten so gebaut, dass etwas Wind durchbläst. Aber mehr als Holz, Gestrüpp, Äste und etwas Lehn gibt es hier nicht um ein Haus zu bauen. Und wer nicht auf das Vieh aufpasst, der hat Zeit zum rumsitzen, den ganzen Tag. Die Leute hier haben ja auch keine Jobs, das Einzige, was sie zu tun haben, ist auf ihr Vieh aufzupassen und zu Haus und Familie Sorge zu tragen. Mehr gibt es nicht.

Es ist immer wieder ein Erlebnis zu sehen, wie Land und Leute funktionieren. Auch, aber nicht nur, weil die Verhältnisse meisst einfacher sind als in Mitteleuropa, freue ich mich auf Erlebnisse mit Menschen, die nach unserem Verständnis «rückständig» sind. Fast immer sind diese Leute dennoch glücklich. Wer aus dem reichen Europa anreist, dem stehen die Dollarzeichen in den Augen. Das ist einerseits verständlich, andererseits ist es der Entwicklung des Landes wie beispielsweise Äthiopien abtrünnig. Erneut stellt sich die Frage, was ist Entwicklung. Muss Afrika so sein resp. werden wie wir? Diese Frage möchte ich nicht beantworten müssen. Ich denke aber, Reisen, und somit sanft etwas Geld ins Land zu bringen, ist eigentlich fast überall sinnvoll (vielleicht abgesehen von bisher unberührt lebenden indigenen Volksgruppen – aber die Frage stellte sich mir ja bereits früher). Mit einem Punkt habe ich aber grosse Mühe. Wer – wo auch immer – meint mit hohen Preisen und schlechtem Service langfristig Geld zu verdienen, der irrt. Weil Benzin ja so unglaublich teuer sei, müsse man in Äthiopien mindestens 150$ pro Tag für die Miete eines Autos bezahlen. Als Gast darf man sich dann aber auch sehr sicher sein, dass das Auto mindestens eine Panne hat und der Motor während der gesamten Zeit im Stillstand laufen gelassen wird. Diverse andere, irrwitzige Eintritts-, Guide-, Fahrer- und Securityguard-Gebühren kommen dazu, wenn man nur irendetwas interessantes anschauen möchte. Auch nur ein einziges Foto ist bei allen bisher genannten Gebühren noch nicht eingerechnet. Die Guides selbst sind eigentlich alle gut, das heisst sie verstehen viel von dem was sie einem zeigen. Dass sie nach einem Tag, ohne selbst gefahren zu sein, mehrmals betonen, wie müde sie nun seien, ist für mich nicht verständlich. Selbstlob kombiniert mit der Klage, wie hart sie arbeiten müssen, empfinde ich als fragwürdig. Für guten Service zahle ich gerne einen angemessen Betrag. Für mittelmässigen Service zahle ich nur ungerne viel Geld. Die Standardantwort dann jeweils, das sei halt ‹part of the adventure›. Wenn es beim Bus passiert, der wirklich nicht alle Welt kostet, ok. Aber nicht bei einem Auto. Und ich denke, das werden auch in Zukunft noch andere Äthiopien-Reisende nach mir in etwa ähnlich sehen.

Einige Erlebnisse, vor allem mit Kindern, waren sehr herzlich und eindrücklich. Wenn ein kleiner Junge nach meiner Hand griff und die weisse Haut untersuchte, war das sehr interessant mit anzusehen. Wenn ein anderer Junge mir im Vorbeigehen ‹fuck you› sagt und eine Stein an den Kopf wirft, dann ist für mich eine Grenze überschritten. Die allermeisten Leute, egal welchen Alters, riefen mir unzählige Male ‹you you› oder auch einfach ‹money› nach. Darauf habe ich nicht direkt reagiert. Aber es ist mühsam und anstrengend, über hundert Mal pro Tag zu erklären, dass man nicht hier sei um Geld zu verteilen. Dass man als «Faranji» (weisser Tourist) betitelt wird ist nicht weiter schlimm, ausser dass dies dem Wort, das Menschen mit ursprünglich afrikanischer Herkunft auf ihre Hautfarbe reduziert, sehr nahe kommt. Ihre Gäste aufgrund ihres Äusseren zu kategorisieren, scheint für die Äthiopier ganz ok zu sein.

Aus mehreren Gründen entschied ich also, Äthiopien etwas früher als geplant zu verlassen. Aber auch der Abschied war nicht ganz gewöhnlich. So war kurz vor dem Start des Flugzeugs noch ein Jogger auf der Start- und Landebahn!!! Wo sonst hat er denn die Chance, auf so ebenem Asphalt zu rennen…

Kommentare

This site is protected by reCAPTCHA and the Google Privacy Policy and Terms of Service apply.